Clasico-Schmach, Kroos-Lücke und der Siegeswille: Die Probleme bei Real Madrid
Als Toni Kroos im letzten Frühjahr sein Karriereende nach der Saison bekanntgab, reagierte man bei Real Madrid mit angemessenem Bedauern. Man wusste, was man am deutschen Strategen hatte, der weithin als einer der besten Mittefeldspieler in der Vereinsgeschichte gesehen wurde. Doch mit Spielern wie Aurelien Tchouameni, Federico Valverde und dem immer noch wichtigen Luka Modric sah man sich gut gerüstet, um den Verlust des Mittelfeldspielers zu kompensieren. In den letzten Jahren hatte die Führungsriege vorgesorgt, um das in die Jahre gekommene Trio aus Kroos, Modric und dem abgewanderten Casemiro zu ersetzen.
Nach knapp drei Monaten der neuen Spielzeit mehren sich aber die Stimmen, die beklagen, dass der Abgang des deutschen Nationalspielers doch nicht vernünftig aufgefangen wurde. Zahlreiche Ausfälle in der Abwehr führten dazu, dass Mittelfeldspieler in der Verteidigung spielen mussten; der Franzose Eduardo Camavinga scheint in seiner Entwicklung zu stagnieren und die Struktur des Spiels von Real Madrid ist ohne die Seitenwechsel von Kroos nicht mehr dieselbe.
Doch die Probleme von Real Madrid auf das Fehlen des Deutschen zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. Das 0:4 gegen den Erzrivalen Barcelona war der fußballerische Tiefpunkt einer Entwicklung, die sich in den letzten Wochen unverkennbar angedeutet hatte. Der Mannschaft fällt es schwer, in ihre Spiele hereinzukommen: Lediglich fünf Toren in der ersten Halbzeit stehen in La Liga 26 Treffer nach der Pause gegenüber. Dass Real Madrid reagieren und Rückstande aufholen kann, ist allgemein bekannt, doch jede Woche kann das dann auch nicht gelingen.
So bekommt auch das am Ende furiose 5:2 gegen Borussia Dortmund am dritten Spieltag der Champions League einen faden Beigeschmack. In der ersten Halbzeit dominierte der in der Liga biedere BVB die Königlichen in ihrer eigenen Arena. Auch wenn Real in der zweiten Halbzeit über Dortmund hinwegrollte, waren die Schwachstellen des Teams doch offen sichtbar.
Selbstbewusstsein gegen Siegeswille
Die große Stärke der Madrilenen in den vergangenen Jahren fußte auf zwei Gewissheiten: Die individuelle Qualität in der Mannschaft ist den allermeisten Gegnern überlegen und gleichzeitig haben die allermeisten Spieler das Selbstverständnis des Klubs so sehr verinnerlicht, dass selbst in komplizierten Spielen bis zur letzten Sekunde ein Comeback nicht nur möglich, sondern durchaus wahrscheinlich ist.
Doch genau dieses Selbstbewusstsein scheint sich langsam in eine Schwachstelle umzukehren. Egal auf welche Position man schaut, nur wenige Spieler verkörpern noch den unbedingten Siegeswillen, wie es einst ein Sergio Ramos, Cristiano Ronaldo oder der langzeitverletzte Dani Carvajal taten. In der aktuellen Elf sind mit Jude Bellingham, Kylian Mbappe und Vinicius Jr. eher Spieler, die über riesige Qualität verfügen, über deren Einstellung in ihrer Karriere aber immer wieder Fragezeichen schweben.
Die Spieler müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Fehlertoleranz in La Liga nach dem Traumstart des Konkurrenten aus Barcelona minimal ist, auch wenn wir erst Anfang November haben. Die Innenverteidigung aus Eder Militao und Antonio Rüdiger, in der vergangenen Saison eine absolute Bank, muss sich deutlich steigern und auch der immer noch nicht voll angekommene Superstar Kylian Mbappe ist bislang vieles schuldig geblieben. Dabei wäre er gefragter denn je, da Bellingham im Gegensatz zur vergangenen Saison nicht die komplette Offensive auf seinen Schultern trägt.
Die vorläufige Krönung gab es dann am Dienstag: Im Duell mit AC Mailand standen sich die beiden erfolgreichsten Teams der Champions League-Geschichte gegenüber - und die Königlichen zeigten eine ähnliche desolate Leistung wie im Clasico. Real Madrid muss aufpassen, dass es nicht wie Milan Anfang des Jahrtausends an seinem eigenen Selbstverständnis verzweifelt.