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José Luis Mendilibar: Sevillas Rettung kam im Trainingsanzug

Aktualisiert
Mendilibar in einem seiner geliebten Trainingsanzüge
Mendilibar in einem seiner geliebten TrainingsanzügeProfimedia
Lange musst der FC Sevilla um den Klassenerhalt in LaLiga bangen. Erst nachdem José Luis Mendilibar den Argentinier Jorge Sampaoli als Cheftrainer abgelöst hatte, schien der fünffache Europa-League-Sieger wieder erfolgreichen Fußball spielen zu können. Unter Mendilibar schafften es die Andalusier sogar, im Finale der UEFA Europa League Mourinhos Roma zu bezwingen. Im Trainingsanzug eilte Mendilibar von Sieg zu Sieg.

Die Fußballsaison 2022/23 hat viele seltsame Geschichten geschrieben. Da wäre der Erfolgslauf von SSC Neapel in Italien, das Meisterdrama in Deutschland, die Rekordsaison von Erling Haaland.

Und irgendwo dazwischen befindet sich ein 62-jähriger Baske namens José Luis Mendilibar. Den vor wenigen Monaten außerhalb Spaniens kaum jemand kannte. Der sich am Mittwochabend aber den zweitwichtigsten Pokal im europäischen Vereinsfußball krallte.

Sampaoli ist gescheitert

Lange hatte der FC Sevilla eine katastrophale Saison hinter sich. Am 18. Spieltag lagen die Andalusier noch auf dem vorletzten Tabellenplatz. Der fünffache Europa-League-Sieger drohte, aus LaLiga abzusteigen. Trotz Stars wie Papu Gomez, Ivan Rakitic oder Jesus Navas. Am Mittwoch gewannen die Andalusier im Europa-League-Finale dann gegen die AS Roma.

Unter Sampaoli erlebten Vereinsikone Jesus Navas (re.) und seine Kollegen viele Enttäuschungen
Unter Sampaoli erlebten Vereinsikone Jesus Navas (re.) und seine Kollegen viele EnttäuschungenAFP

Als es noch nicht lief, hatte man den Schuldigen für die Seuchensaison bald ausfindig gemacht: Jorge Sampaoli. Der argentinische Trainer ist für seine Versessenheit und bis ins letzte Details ausgetüftelten Taktiken berüchtigt. Wahlweise löst er mit dieser Denkweise Begeisterungsstürme aus. Wahlweise eckt er damit bei Fans und Spielern an und hinterlässt viele Fragezeichen und frustrierende Ergebnisse.

Ihr könnt das Spiel live in der kostenlosen Flashscore Audioreportage mitverfolgen

Marcos Acuna kann ein Lied davon singen. Bei einer Niederlage gegen CA Osasuna bekam er von Sampaoli einen Zettel in die Hand gedrückt. Der war mit etlichen Notizen und taktischen Instruktionen beschmiert. Voller Zorn warf der argentinische Linksverteidiger das Papier zu Boden und schimpfte über seinen Trainer.

Eine Szene, die Sampaolis Problem in Sevilla eindrucksvoll veranschaulichte. Häufig versuchte er, das Spiel unter Kontrolle zu bringen. Die einzelnen Bedürfnisse seiner Spieler gingen dabei unter. Ein unter Druck stehender Spieler, der gegen den Abstieg kämpft, braucht keine Pfeile und Kreuze. Sondern aufmunternde Worten und simple Anweisungen.

Es könnte alles so einfach sein

Die Ideen von Nachfolger José Luis Mendilibar sind wesentlich greifbarer und leichter nachzuvollziehen als jene von Sampaoli. Und – was für eine Ironie – er ist damit erheblich erfolgreicher. In einem Gespräch mit Trainerlegende Vicente del Bosque sagte Mendilibar einmal: "Im Fußball ist es am besten, das zu tun, was am einfachsten ist. Und am schwierigsten ist es, die einfachen Dinge zu tun."

Mendilibar (re.) bei seiner Präsentation Ende März 2023
Mendilibar (re.) bei seiner Präsentation Ende März 2023SevillaFC/sevillafc.es

Mendilibar gilt als Typ der alten Schule. Als Pape Gueye eine Auswechslung verlangte, obwohl er nach einem harten Zweikampf nicht schwer verletzt war, nannte der Trainer ihn "ein bisschen verweichlicht". Von Trainern, die lieber Zeit am PC als am Trainingsplatz verbringen, hält er nicht viel: "Ich laufe nicht mit dem Tablet unter Arm herum oder verbringe den ganzen Tag am Computer." 

In seiner Heimat genießt er nach über 1.000 Spielen spanischen Vereinsfußball ein einigermaßen gutes Renommee. Wenngleich er nicht als profunder Stratege, sondern in erster Linie als Haudegen und Arbeiter gilt. Er war bei Athletic Bilbao, Real Valladolid, Osasuna, Levante, Eibar und Deportivo Alaves aktiv. Also fast ausschließlich bei Mittelständlern oder Fahrstuhlmannschaften. Mendilibar kannte die großen Pokale bislang nur aus dem Fernsehen.

Spaniens Labbadia

Vielleicht könnte man ihn mit Bruno Labbadia vergleichen. Wo es ihn auch hinzieht: Der Ruf, zuverlässige Arbeit zu machen, aber überall bald an seine Leistungsgrenze zu stoßen, verfolgt ihn. Dementsprechend überraschend sind seine Erfolge mit Sevilla. Von 11 LaLiga-Spielen verlor man nur zwei. Auf dem Weg nach Budapest schaltete man Spitzenmannschaften wie Manchester United und Juventus Turin aus.

Der 62-Jährige hatte bisher keine Chance bei einem Verein von der Größe des FC Sevilla bekommen. Auch in Andalusien herrschte anfangs große Skepsis vor. Dementsprechend war das Europa-League-Finale sein erst siebtes Pflichtspiel auf europäischer Ebene. Namensvetter Mourinho hingegen absolviert in Budapest sein bereits sechstes europäisches Finale.

Was Mendilibar einzigartig macht, ist seine Fähigkeit, am Boden zu bleiben. Sie unterscheidet ihn von vielen Trainer der neuen Generation. Er ist ein netter Typ, hat für seine Spieler stets ein offenes Ohr. Im Mannschaftsbus spielen er und sein Team oft gemeinsam Karten. Wenn ihn die Spieler liebevoll "Mendi" nennen, ist das für ihn keine Respektlosigkeit – er freut sich darüber.

Fußball ist Arbeit

Diese Nüchternheit spiegelt sich auf dem grünen Rasen wider. Seit er für den FC Sevilla verantwortlich ist, wurden die zahlreichen Elemente modernen Positionsspiels rarer. Gegen den Ball positionieren sich die Abwehrkette und das Mittelfeld kompakt am eigenen Strafraum. Die eigenen Angriffe sind extrem zielgerichtet. Was sich der Gegner auch einfallen lässt, schnelle vertikale Pässe sind das Mittel der Wahl.

Im Training wird hart gearbeitet, dennoch hat Mendilibar einen guten Draht zur Mannschaft
Im Training wird hart gearbeitet, dennoch hat Mendilibar einen guten Draht zur MannschaftAFP

Dass Mendilibars Spielweise nichts Besonderes ist, stört ihn nicht. Von Taktikbloggern gefeiert zu werden, als bedeutsamer Revolutionär zu gelten – darum geht es ihm nicht. Ihm geht es darum, einen guten und seriösen Job zu erledigen. Und das tut er zweifelsohne. Sevilla befindet sich in der Liga mittlerweile auf Platz 11 – und hat einen Spieltag vor Schluss noch Chancen, sich als Tabellensiebter für Europa zu qualifizieren.

Das wird Sevilla aber ohnehin egal sein. Denn am Mittwoch wurde (wieder einmal) die Europa League gewonnen. In einem Herzschlagfinale, einem Defensivfestival, erst im Elfmeterschießen. Gianluca Mancini und Ibanez versagten vom Punkt aus die Nerven. Gonzalo Montiel auch – doch der Argentinier bekam eine zweite Chance. Rui Patricio hatte die Linie frühzeitig verlassen. Diesmal schoss Montiel nicht aufs rechte Eck – sondern mitten ins Glück.

Das reicht für die Qualifikation zur kommenden Champions-League-Saison. Ob es dazu reicht, Mendilibars im Sommer auslaufenden Vertrag noch einmal zu verlängern, bleibt abzuwarten.

Zum Match-Center: Sevilla vs. Roma