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Yakin gegen Southgate: Dem einen gelingt fast alles, dem anderen gefühlt nichts

Murat Yakin hat die Schweiz bis ins EM-Viertelfinale geführt, dort treffen die Eidgenossen auf England.
Murat Yakin hat die Schweiz bis ins EM-Viertelfinale geführt, dort treffen die Eidgenossen auf England.Profimedia
Am Samstagabend kommt es in Düsseldorf zum Viertelfinalduell zwischen den "Three Lions" aus England und der Schweizer "Nati". Vor dem Turnier wäre die Ausgangslage klar gewesen: Die Engländer wurden als einer der großen Titelkandidaten gehandelt, die Schweizer nur als Außenseiter. Unmittelbar vor dem Spiel hat sich die Gefühlslage verändert.

Die harten Fakten zuerst, England bleibt auf dem Papier der Favorit, denn:

England blieb bei den vorangegangenen zwei EM-Duellen mit der Schweiz unbesiegt. Im Eröffnungsspiel 1996 im heimischen Wembley gab es ein 1:1 und 2004 in Portugal ein klares 3:0.

England verlor nur eines der letzten 24 Länderspiele gegen die Schweiz (17 Siege, 6 Unentschieden). Die letzte Niederlage gegen die Eidgenossen datiert vom Mai 1981 (1:2 in der WM-Qualifikation).

England bekommt vom "Supercomputer" von Opta eine Wahrscheinlichkeit von 59 % zugerechnet, das Viertelfinale gegen die Schweiz zu überstehen (Stand: Mittwoch).

Doch harte Fakten sind im Fußball bekanntlich nicht alles. Häufig sind es die unerwarteten Dinge, die ein EM-Turnier ausmachen. Zu einer Überraschung könnte es auch im anstehenden Spiel kommen. Mit Blick auf die Leistungen beider Teams im Achtelfinale darf sich die Schweiz berechtigte Chancen ausrechnen, auch den Engländern ein Schnippchen zu schlagen.

Zum Match-Center: England vs. Schweiz

Ballbesitzfußball statt Schweizer Riegel

Die Nati wurde nach ihrem 2:0 gegen Titelverteidiger Italien gefeiert. In den Schweizer Medien hieß es, dies sei die beste Leistung der Neuzeit gewesen - oder zumindest die klar beste unter Murat Yakin. Der 49-Jährige leitet die Geschicke der Schweizer Männer-Nationalmannschaft seit Herbst 2021. 

Die starke Performance war nicht nur auf dem Spielfeld erkennbar - sie lässt sich auch statistisch untermauern. Die Schweizer gingen mit 16:11 Abschlüssen aus der Partie (4:1 aufs Tor), bei einem xG-Wert von 1,25:0,73 und 22 vs. 12 Ballaktionen im gegnerischen Strafraum. Sehr verdient war die Führung in der ersten Halbzeit, in welcher die Nati 10:1 Abschlüsse und zu 58 % den Ball hatte. 

Dem Treffer von Remo Freuler in der 37. Minute ging eine Sequenz von 31 Pässen voraus - die meisten vor einem EM-Tor seit Beginn der detaillierten Datenerfassung (seit 1980). Überhaupt waren die Schweizer äußerst passsicher: Die Passquote von 92 % war für die Nati die höchste in einem Spiel bei einem großen Event (seit 1966).

Das Schweizer Passspiel.
Das Schweizer Passspiel.Opta Data Insights

Taktikfuchs Yakin

Großer Gewinner im Schweizer Lager ist bislang Trainer Murat Yakin, der vor dem Turnier nicht unumstritten war. Das vor allem den durchwachsenen Leistungen während der EM-Qualifikation geschuldet. Während der Europameisterschaft tut er sich als Taktikfuchs hervor, dessen personellen Entscheidungen allesamt aufgegangen sind:

Im ersten Spiel gegen Ungarn nominierte er überraschend Kwadwo Duah und Michel Aebischer für die Startelf. Duah traf nach Vorlage von Aebischer zum 1:0, der Vorlagengeber erzielte kurz vor dem Pausenpfiff selbst das 2:0.

Gegen Schottland setzte er Xherdan Shaqiri von Anfang an ein. Dessen umjubelter Kunstschuss besorgte das 1:1.

Im Duell um den ersten Platz in Gruppe A zauberte er Fabian Rieder aus dem Hut. Bei seinem erst zweiten Startelfeinsatz für die Schweiz erledigte er einen soliden Job und sorgte mitunter dafür, dass Deutschland an den Rand einer Niederlage gedrängt wurde. Erst in der Nachspielzeit erzielte Niclas Füllkrug den Ausgleich zum 1:1-Endstand.

Gegen Italien rotierte Yakin Ruben Vargas anstelle des gesperrten Silvan Widmer in die Startelf. Dieser bereitete das 1:0 vor und erzielte das 2:0 selbst - danach wurde er von der UEFA zum Spieler des Spiels gewählt.

Englische Stars kommen noch nicht zur Entfaltung

Von solch geglückten Entscheidung kann Murat Yakins kommender Kontrahent nur träumen. In der englischen Presse bläst Gareth Southgate ein harscher Gegenwind entgegen. Zwar sind die Three Lions sind als Gruppensieger weitergekommen (5 Punkte, wie die Schweiz), überzeugend waren die Auftritte der Startruppe allerdings keinesfalls - auch im Achtelfinale gegen die Slowakei nicht.

Statistiken zu Englands Achtelfinal-Erfolg gegen die Slowakei (2:1 n.V.).
Statistiken zu Englands Achtelfinal-Erfolg gegen die Slowakei (2:1 n.V.).Opta Data Insights

Die hochdekorierte Offensive um Jude Bellingham, Harry Kane, Phil Foden und Bukayo Saka fand gegen einen entschlossen verteidigen Gegner kaum Lücken. Es schien nicht so, als hätte Southgate einen funktionierenden Plan B parat.

Es war einem Geniestreich von Jude Bellingham zu verdanken, dass der englische Teammanger erleichtert aufatmen durfte. Bellinghams Fallrückzieher in der 95. Minute war der erste Schuss aufs gegnerische Gehäuse. In der Verlängerung kam ein zweiter hinzu: Harry Kanes Kopfball zum 2:1. Gemessen am xG-Wert war aber die Slowakei das gefährlichere Team (2,15: 1,52).

Ein Großteil der Kritik an Southgate dreht sich um die Außenspieler. Phil Foden, der im Verein zuletzt meist rechts oder zentral gespielt hatte, kann sich auf dem linken Flügel nicht richtig entfalten. Aber auch Bukayo Saka hat auf seinem angestammten rechten Flügel Schwierigkeiten.

Auch die Außenverteidiger - gegen die Slowakei standen Kyle Walker und Kieran Trippier in der Startelf - entkommen der Kritik nicht. Der Vorwurf: Sie spielen zu wenige ihrer Pässe ins Angriffsdrittel. Kritik, die nach dem Spiel gegen die Slowakei ihre Berechtigung hatte: Walker spielte nur 34 % seiner Pässe nach vorne, Trippier lag in dieser Kategorie bei 30 %.

Kieran Trippiers Pässe gegen die Slowakei.
Kieran Trippiers Pässe gegen die Slowakei.Opta Data Insights
Kyle Walkers Pässe gegen die Slowakei.
Kyle Walkers Pässe gegen die Slowakei.Opta Data Insights

Schweizer Stärke, englische Schwäche

Interessanterweise überschneidet sich die englische Schwachstelle mit der Schweizer Stärke. Yakin hat zuletzt auf der Außenbahn durch sein flexibles 3-4-2-1 stets dynamische und funktionierende Lösungen gefunden. Gegen Ungarn setzte er mit Aebischer auf einen in die Mitte verschiebenden Linksaußen. Gegen Italien setzte er mit Dan Ndoye auf der rechten Seite einen schnellen und offensiv orientierten Schienenspieler ein.

Gepaart mit einem starken Zentrum (Xhaka/Freuler) und einer stabilen Defensive (Rodriguez/Akanji/Schär) verspricht das eine große taktische Herausforderung für Gareth Southgate.

Aebischers Heatmap im Gruppenspiel gegen Ungarn.
Aebischers Heatmap im Gruppenspiel gegen Ungarn.Opta Data Insights
Ndoyes Heatmap im Achtelfinale gegen Italien.
Ndoyes Heatmap im Achtelfinale gegen Italien.Opta Data Insights

Was England der Schweiz voraus hat, ist eine Offensive mit absoluten Weltstars wie Bellingham und Kane (je 2 Turniertore). Bei den Schweizern verteilen sich die sieben Tore auf sieben Spieler. Auf so viele verschiedene Torschützen kommt im Turnier vor den Viertelfinalpartien sonst nur Spanien (ebenfalls 7).

Es stellt sich die Frage, ob Yakin mit seinem starken Kollektiv das helvetische Fußballmärchen weiterschreibt. Immerhin winkt die erste Halbfinalteilnahme bei einem großen Turnier. Oder ist vielleicht doch der stoische Gareth Southgate jener Trainer, der England zum ersten großen Titel seit 1966 führt? Antwort gibt es am Samstag ab 18 Uhr (LIVE in der Flashscore Audioreportage).