Das System Nagelsmann: "Immer attraktiv" – und bald auch taktisch flexibel?
Julian Nagelsmann macht die Schotten dicht. Am Mittwoch und Donnerstag lässt er am DFB-Campus hinter verschlossenen Türen üben - weil er revolutionäres plant?
"Vorgenommen habe ich mir viel", sagte der ewig ehrgeizige Bundestrainer über die Einheiten zum Jahresabschluss. Aber: Wegen der Belastung und angesichts zahlreicher angeschlagener Spieler sieht er davon ab, "meine Ideen durchzudrücken". Ansonsten, sagte er schmunzelnd, könne am Samstag (20:45 Uhr/RTL) in Freiburg gegen Bosnien und Herzegowina "keiner mehr laufen".
Nagelsmann ist also wieder als Pragmatiker gefragt. Wie zu Beginn seiner Amtszeit vor 13 Monaten, als seine Kernaussage war: "Wir wollen es taktisch einfacher halten." Zwar wich er dann alsbald von diesem Ansatz ab und versuchte Wildes wie das Schienen-Experiment mit Kai Havertz. Danach aber legte er sich schnell auf ein recht konventionelles 4-2-3-1-System fest, mit dem er bei der Heim-EM endlich wieder Begeisterung für die DFB-Elf auslöste.
Kimmich: Jeder kennt "seine Aufgabe"
Die Mannschaft verinnerlichte seine Idee so sehr, dass auch gravierende personelle Veränderungen sie nicht aus dem Konzept brachten. Nicht im September, der ersten Maßnahme ohne die zurückgetretenen Größen Manuel Neuer, Thomas Müller, Toni Kroos und Ilkay Gündogan. Nicht im Oktober, als gleich sieben Spieler verletzt fehlten.
"Das liegt daran, dass wir ein funktionierendes System und funktionierende Abläufe haben", sagte Kapitän Joshua Kimmich und betonte: "Jeder weiß, was seine Aufgabe ist." Selbst Neulinge wie zuletzt Jonathan Burkardt, Tim Kleindienst oder Jamie Leweling. Kimmich: "Das ist sicherlich ein Verdienst des Bundestrainers."
Der beschreibt seinen Grundgedanken so: "Wir haben immer die Idee, zu gewinnen und attraktiven Fußball zu spielen, um Dinge nach außen zu senden - aber vor allem auch nach innen." Stichwort: Selbstverständnis für Siege. Als Vorbild dienen Argentinien und Spanien, die nach Erfolgsserien mit breiter Brust zu den jüngsten Großereignissen reisten und dort unbeirrt zum Titel stürmten.
Erst eine Pleite im Jahr 2024
Nagelsmanns Auswahl hat sich auf einen ähnlichen Weg begeben. 2024 gab es bislang eine einzige Niederlage, das war zuletzt 2020 der Fall - damals aber in nur acht Partien, jetzt sind schon 13 absolviert. Einen besseren Punkteschnitt (2,31) hatte die Nationalmannschaft zuletzt in den seligen Confed-Cup-Sieger-Zeiten 2017, dem letzten Jahr ohne eine Pleite (2,47).
Also weiter so? Nicht ganz. Im kommenden Jahr mit der K.o.-Phase der Nationenliga und der WM-Qualifikation sieht sich Nagelsmann als Erneuerer. Zumindest "in einem begrenzten Rahmen", denn: "Wenn wir nur denselben Stiefel spielen bis zur WM, sind wir zu leicht ausrechenbar."
Wo er ansetzen will? "Wir werden sicherlich die eine oder andere Spieleröffnung reinbringen", sagte er. Außerdem will Nagelsmann "Phasen trainieren, in denen wir reinen Ergebnisfußball spielen" - sei es, um ein Resultat zu halten, oder um mit aller Macht auf ein Tor zu drängen. "Das werden wir noch mal forcieren."
Helfen sollen individuelle Videositzungen mit den Stars, immer im Austausch mit den Klubtrainern, die im Zweifel am besten wissen, wo jeweils anzusetzen ist. So plant Nagelsmann, "ein paar neue Dinge reinzubringen". Komplett anderen Fußball spielen werde seine Mannschaft aber nicht, "weil wir dafür schlicht die Zeit nicht haben".