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Lionel Messi: Das Nervenkostüm des Flohs wird dünner

Lionel Messi beim Elfmesterschießen gegen die Niederlande
Lionel Messi beim Elfmesterschießen gegen die NiederlandeAFP
Lionel Messi ist auf seiner Mission, die letzte ihm noch fehlende Trophäe zu gewinnen, nicht nur der entscheidende Faktor - sondern auch zunehmend nervös. Nach dem spannenden und heiß umkämpften Viertelfinale schimpfte La Pulga völlig untypisch auf jeden, der ihm in die Quere kam: Schiedsrichter Mateu Lahoz, Hollands Van Gaal und Wout Weghorst gerieten ins Kreuzfeuer seiner Wortäußerungen. Doch ein bisschen kühlen Kopf bewahrte er selbst in stürmischen Zeiten: Nach Spielende ehrte er die argentinische Legende Juan Román Riquelme. Ein Signal, einer Reihe großer argentinischer Spielführer angehören zu wollen.

Lionel Messi hatte mit Louis van Gaal noch eine Rechnung offen. "La Pulga" (zu Deutsch: Der Floh) ließ es sich nicht nehmen, dem hochdekorierten, niederländischen Trainer nach dem Weiterkommen ins Halbfinale deutlich die Meinung zu sagen. Der Argentinier hatte im laufenden Spiel eine Torvorlage und einen verwandelten Elfmeter beigesteuert. Danach hatte er offensichtlich das Bedürfnis, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Selten in seiner Karriere äußerte sich Messi mit vergleichbarem Zorn. Die ungewöhnliche Ausdrucksweise spiegelte jene Nervosität wider, die das unfassbar Spannende zuvor bei ihm zutage gefördert hatte - und die große Erleichterung, noch im Rennen um den WM-Titel zu sein.

Niederländer im Visier

Der niederländische Nationaltrainer hatte auf der Pressekonferenz vor dem Spiel Argentinien und Messi direkt kritisiert. Dem Kapitän der Albiceleste hatte das überhaupt nicht gefallen. "Er ist der beste Spieler, wenn er den Ball hat. Wenn er ihn nicht hat, spielen wir mit einem Mann mehr (...). Wenn Argentinien den Ball verliert, nimmt Messi nicht am Spiel teil - und das ist unsere Chance", hatte der nunmehr ehemalige Bondscoach ausgerechnet den Superstar als Schwachstelle ausgemacht. Schließlich fügte der ehemalige Barcelona-Coach (1997–2000, 2002–2003) hinzu: "Wenn wir ins Elfmeterschießen kommen, gewinnen wir auf jeden Fall". Das Schicksal wollte es ironischerweise anders.

Beinahe wäre Van Gaals Provokation voll aufgegangen: Einwechselspieler Leandro Paredes verhinderte mit hanebüchenen Fehlern, dass der zweifache Weltmeister mit einem bequemen 2:0-Erfolg unter die letzten Vier spazieren konnte. Der argentinische Groll richtete sich auch deshalb gegen Van Gaal, weil er in der Vergangenheit mit Ángel di María aneinandergeraten war. Damals, als er bei Manchester United Di Marías Trainer war. Der südamerikanische Offensivstar verlautbarte: "Er ist der schlechteste Trainer, den ich in meiner Karriere hatte. Ich hatte einen Doppelpack geschossen - am nächsten Tag kritisierte mich Van Gaal und sagte mir, dass ich alles falsch gemacht hätte".

Messi rechtfertigte sich für sein entgleisendes Verhalten nach Spielende: "Ich schwatze nur sehr ungern vor einem Spiel. Das gehört nicht zum Fußball. Ich habe immer alles respektiert und ich möchte auch, dass man mich respektiert. Aber Van Gaal hatte keine Achtung vor uns."

Nach Spielende ging das Schimpf-Festival in die nächste Runde. Das hitzige Elfmeterschießen, in welchem Emiliano Martínez durch Paraden gegen Van Dijk und Berghuis zum großen Hauptdarsteller wurde, war noch nicht das Ende. In der Mixed Zone fanden die Nettigkeiten eine Fortsetzung.

Der nun bestens gelaunte Messi unterbrach ein Interview, um Wout Weghorst zu beleidigen: "Was glotzt du so, du Idiot! Genau, verzieh dich, du Idiot. Verzieh dich!" Im Original ist "¡Qué mirás bobo, qué mirás bobo, andá, andá para allá bobo, andá para allá!" in Argentinien bereits zu einem Klassiker geworden, seit einigen Tagen gibt es den Spruch auch abgedruckt auf T-Shirts und Kaffeetassen.

Auch Schiedsrichter Mateu Lahoz bekommt Fett weg

Vielleicht war gerade dies das Spiel, in welchem Messi durch und durch zum Argentinier wurde. Die Klaue des sechsfachen Weltfußballers wurde schärfer und schärfer. Auch mit Referee Antonio Mateu Lahoz geriet er aneinander. Der Schiedsrichter hatte im Viertelfinale alle Hände voll zu tun, zückte 15-mal die Gelbe Karte und schloss außerdem Dumfries mit Gelb-Rot vom Spiel aus. Es kam häufig zu Rudelbildungen, dass niemand ernsthaft verletzt wurde, grenzt an eine Wunderleistung des spanischen Schiedsrichters. 

Als Dank erntete er eine Wutrede des argentinischen Kapitäns: "Ich will nicht über den Schiedsrichter sprechen, weil ich nicht ehrlich sein kann. Wenn ich etwas sage, würde ich bestraft werden. Die FIFA muss darüber nachdenken, ob sie solch einen Schiedsrichter für solche Spiele besetzen kann." Eine sicherlich übertriebene Abrechnung. Denn es war sein Mitspieler Paredes, der mit einem harten Foul bei den niederländischen Spielern eine Gefühlsexplosion auslöste - noch bevor Virgil van Dijk jemanden angerempelt hatte.

Ziemlich beste Feinde: Mateu Lahoz zeigt Messi Gelb
Ziemlich beste Feinde: Mateu Lahoz zeigt Messi GelbAFP

Messi selbst wurde gegen Ende der regulären Spielzeit wegen Schiedsrichterkritik verwarnt. Während Messi gegen Kroatien auf dem Platz stehen wird, ist Mateu Lahoz - vor Turnierbeginn noch einer der Favoriten auf die Finalbesetzung - bereits vorzeitig in die Heimat zurückgekehrt.

"Topo Gigio" als Hommage an Riquelme

Seine Feier nach dem Elfmeter zum 2:0 jedenfalls war eine direkte Hommage an Juan Román Riquelme. Im Jahr 2001 lag "El Último Diez" im offenen Konflikt mit Mauricio Macri, seinem Präsidenten bei den Boca Juniors (der von 2015 bis 2019 auch Präsident Argentiniens war). Nach einem Tor im Superclásico gegen River Plate hielt sich der Bostero provokativ die Hände an die Ohren. Später äußerte sich Riquelme, dies sei eine Widmung an seine Tochter gewesen, die Fan einer mausartigen Handpuppe namens "Topo Gigio" sei, die bei Kindern in Argentinien große Beliebtheit genießt. Wohl eine Schutzbehauptung.

Messis Geste zeugte von dem Wunsch, argentinische Geschichte mit laufender Gegenwart zu verknüpfen. Der einstige Weltklasse-Spielmacher Riquelme ist in seiner Heimat ein wahres Idol. 2006 in Deutschland war Riquelme, heute 44 Jahre alt, noch Kapitän des damaligen WM-Debütanten und Jahrhunderttalentes gewesen.

Je weiter das Turnier fortschreitet, umso deutlicher wird eine überwältigende Mixtur aus Emotionen, die Messi allmählich überkommt.  Während Cristiano Ronaldo und Neymar im Viertelfinale in Tränen ausbrachen, hält sich La Pulga am Leben - und ist nur noch ein Spiel von seinem zweiten WM-Finale entfernt. Der Pokal ist Messis großer Traum. Und jener Argentiniens. Es liegt auf der Hand, wie gestresst und nervös er mittlerweile sein muss, wenn er bloß daran denkt, bei seiner letzten großen Aufgabe versagen zu können.

Messi, dem von Kritikern oft nachgesagt wurde, zu weich und nachgiebig zu sein, um als echter Leader zu gelten, entwickelt allmählich so etwas wie einen Führungsinstinkt. Er geht mutig voran, selbst wenn er für sein Verhalten Kritik einstecken muss. Mit 35 Jahren muss er der Welt nicht mehr beweisen, ein großartiger, vielleicht der beste Fußballer überhaupt zu sein - es geht nur noch darum, sich in jenen Anführer zu verwandeln, der Argentinien den dritten Weltmeistertitel beschert.