Pechstein-Verhandlung in München: Tag der Abrechnung - oder Schrecken ohne Ende?
"Ich habe ein unfassbares Martyrium durchgemacht. Doch ich habe versprochen, nie aufzugeben und bis zum entscheidenden Tag zu kämpfen", sagte die fünfmalige Olympiasiegerin vor der Verhandlung der Welt am Sonntag: "Sollte das Gericht erneut einen Vergleich vorschlagen, bin ich auch diesmal gesprächsbereit. Allerdings nur dann, wenn an erster Stelle des Vergleichs steht, dass die ISU das Fehlurteil gegen mich einräumt."
Pechstein ist mittlerweile 52 Jahre alt, 15 davon hat sie verbracht mit dem Kampf gegen die ISU und für das, was sie als nur gerecht empfindet: Ihren sportlichen Ruf wieder herzustellen. "Ich habe nie gedopt", sagt sie. So wie Pechstein es in den "5739 Tagen nach der Schreckensnacht vom 7. Februar 2009", stets beteuert hat.
Damals wird Pechstein während der Mehrkampf-WM in Hamar/Norwegen übermittelt, dass bei ihr auffällige Blutwerte festgestellt wurden. Die ISU sperrt die Berlinerin für zwei Jahre, der Internationale Sportgerichtshof CAS bestätigt. Spätere Untersuchungen stellen eine vom Vater vererbte Blutanomalie als Grund ihrer erhöhten Werte fest. Pechstein wehrt sich, anderthalb Jahrzehnte lang. 2011 feiert sie ihr Comeback, was bis heute währt, und nebenbei zieht sich die Causa durch die Instanzen.
Sechs Gerichte, eine Klage
Pechstein kämpft vor dem Schweizer Bundesgericht, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem Münchner Landgericht und Oberlandesgericht, dem Bundesgerichtshof, dem Bundesverfassungsgericht. Letzteres gibt 2022 Pechsteins Beschwerde statt: Das CAS-Verfahren soll unfair gewesen sein, ihre Schadensersatzklage ist zulässig.
Diese wird nun in München verhandelt, acht Millionen Euro, so bestätigt es Pechsteins Management, stehen im Raum. "Jetzt wird abgerechnet", schrieb Pechstein bei Facebook, als der Münchner Termin fix war. Doch ist es wirklich der finale Akt nach 15 Jahren? Paul Lambertz ist skeptisch.
Bei diesem Prozess um Schadenersatz- und Schmerzensgeldanspruch, sagte der Düsseldorfer Sportrecht-Fachanwalt dem SID, "steht die Frage im Mittelpunkt: Welchen konkreten Vorwurf kann man der ISU eigentlich machen? Waren die Regeln, die damals gegolten und zur Sperre von Frau Pechstein geführt haben, vielleicht so grob rechtswidrig, dass man sich hätte gar nicht darauf berufen dürfen?"
Es werde aber auch die Frage geklärt werden müssen, "ob Pechstein tatsächlich nicht gedopt hat. Denn überhaupt nur dann kann ihr ein Schadensersatzanspruch zustehen", sagt Lambertz: "Sollte es soweit kommen und diese Frage müsste gerichtlich geklärt werden, dürfen wir uns auf ein aufwendiges Beweisverfahren einstellen. 'Durch' ist der Rechtsstreit damit für Pechstein meines Erachtens noch lange nicht."
Also doch ein Schrecken ohne Ende? Zumal gleichsam nicht klar ist, wie die ISU mit Sitz in Lausanne auf eine in Deutschland angeordnete Millionen-Zahlung reagieren würde.
Dass der Fall Pechstein noch über die Causa Pechstein wirkt, ein Münchner Urteil Umwälzungen im Weltsystem der Sportgerichtsbarkeit hervorruft, da nun eben ein ordentliches Gericht entscheidet, glaubt Lambertz nicht: "Weil ich davon ausgehe, dass am Oberlandesgericht 'nur' noch über ihren Schadensersatzanspruch gesprochen werden wird."
Seine Conclusio: "Eines ihrer Ziele, mit denen Pechstein meines Erachtens damals angetreten war, hat sie nicht erreicht - die Zwangsschiedsgerichtsbarkeit im Sport zu stürzen. Ich würde sogar sagen, das Gegenteil ist eingetreten. Letztlich geht die Schiedsgerichtsbarkeit im Sport gestärkt daraus hervor."